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Vergiss deinen Lerntyp!

02.04.2023

Sobald du etwas über Lernen suchst, stolperst du automatisch über das Wort Lerntypen und wie wichtig es ist, seinen eigenen Lerntyp zu kennen. Oje, da verleier’ ich meistens schon die Augen.
Auch in meinen Kursen erklären mir die Teilnehmer, dass der Stoff in der (Berufs-)Schule eben nicht für alle Lerntypen geeignet ist. 

Darauf beruht die Theorie der Lernstile oder Lerntypen nach Frederic Vester. Er unterscheidet auditive, visuelle, haptische und kognitive Lernende. In der neuerer Literatur findet man häufig auch den kommunikativen Lerntyp.

Warum soll man seinen Lerntyp kennen?

Man sagt, du lernst effizienter, wenn du deinen Lerntyp kennst und entsprechend den Lernstoff auf diese Weise präsentiert bekommst und “aufnimmst”. Also wenn du ein visueller Typ bist, dann zeichnest du zum Beispiel ein Schema auf oder bei einem kommunikativen Typ lässt du es dir besser erklären und erklärst es sogar anderen.

Oft wird dabei eingeräumt, dass es Mischtypen gibt, also nicht das eine oder andere, sondern eine Kombination. Wenn das so ist, was sagt uns das dann eigentlich? Gibt es dann echte Lerntypen?

Mythos Lerntypen

Wenn du es dir recht überlegst, ist es doch eigentlich klar: du bist nicht nur der Ohren-Typ oder der Augen-Typ. Auf der einen Seite sollst du mit vielen Sinnen lernen, auf der anderen Seite wird dir eingeredet, dass du deinen Lerntyp finden sollst, damit du besser lernen kannst.

Da kann ich nur sagen, alles Quatsch. Es gibt von der wissenschaftlichen Seite bisher keine Anhaltspunkte für diese Theorie.

Warum hält man dann immer noch an den Lerntypen fest?

Es sind unsere persönlichen Lehr- und Lernerfahrungen. Wenn du Vokabeln lernst, indem du sie dir  hundert Mal vorgesagt hast und du sie dir auf diese Weise gemerkt hast, sogar einen gute Note im Vokabeltest geschrieben hast, dann wirst du eher glauben, dass du ein auditiver Lerntyp bist. Wer dafür ein Buch nimmt, in dem es zu jeder Vokabel am besten noch ein Bild gibt, der ist geneigt, sich als visuellen Lerntyp zu bezeichnen. 

Ist die Erfahrung also positiv, wirst du an einer Methode festhalten und auch daran glauben, dass dieser Lernkanal dein Weg zum Lernen ist. Du wirst folglich kaum eine andere Form der Informationsaufnahme in Erwägung ziehen bzw. wirst du schnell das Gefühl haben, dass es nichts für dich ist, es klappt nämlich nicht so schnell oder/und nicht so gut. Damit bestätigst du natürlich deine Theorie.

Allerdings ist es ja wie bei allem Neuen: Du bist auf diesem “Kanal” noch nicht so geübt. Es braucht einfach ein bisschen Geduld und Übung, bis es leichter wird.

Insofern sind die Lerntypen eher selbsterfüllende Prophezeiungen. 

Integriere alle “Lerntypen” in deinen Alltag

Lerntypen existieren also als solche nach derzeitigem wissenschaftlichen Standpunkt nicht. Richtig ist allerdings, dass Lernen dann besser funktioniert, wenn wir alle Sinne einbeziehen.

Das liegt daran, dass das Gehirn zwar  “elektrochemisch” denkt, wir aber “Bilder” erleben.

Schauen wir uns ein Foto an, so überschlagen sich plötzlich alle Erinnerungen. Zum Beispiel wird beim Ansehen eines Urlaubsfotos schnell die anstrengende Wanderung oder das gute Essen wieder lebendig. 

Auch Gerüche lassen uns schnell in Erinnerungen schwelgen (Proust-Effekt). Der Geruch von Sonnencreme lässt viele sofort an Sand an den Füßen und Meeresrauschen denken.

Und wer erinnert sich nicht daran, wenn wir Dinge selbst ausprobiert haben? Einen Regenwurm essen, Sandburgen bauen, Schlangen anfassen oder Experimente im Chemie- oder Physikunterricht.

Neben dem haptischen Erlebnis spricht man fast schon automatisch über das, was da passiert und warum. Der kommunikative Teil ist also ein Teil der Erfahrung.

Es sind am Ende Emotionen, die uns in Erinnerung bleiben und beim Erinnern erneut erlebt werden.

Besser Merken: Lernen mit vielen Sinnen


Beim Erinnern entstehen allerdings oft Lücken. Das liegt an der Art und Weise, wie unser Gehirn arbeitet. Ganz plastisch gesprochen wird eine Information und die Art wie wir sie erlernen in seine Einzelteile zerlegt und an verschiedenen Stellen im Gehirn gespeichert. Wollen wir die Information wieder abrufen, werden diese Einzelteile wieder zusammengesetzt. Oft geht dabei etwas verloren.

Es ist wie bei einem Puzzle: Viele Teile ergeben zusammen ein großes Bild. Ist ein Teil weg, kann man das ganze Bild meist immer noch gut erkennen. Aber je mehr Teile verschwunden sind, desto ungenauer wird es. 

Gesichter in Puzzleform

Nun stell dir vor, du lernst etwas, benutzt dazu aber nur einen Sinn = ein Puzzleteil. Kommt dieses Puzzleteil abhanden, kannst du die Information nicht mehr abrufen – dich nicht mehr erinnern. Wenn du nun zwei oder drei Puzzleteile, sprich Sinne für diese Information beim Lernen einbeziehst, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du das Bild wenigstens teilweise wieder zusammensetzen kannst. 

Es ist also sinn-voll mit vielen Sinnen zu arbeiten und zu lernen.

Wie kann sinn-volles Lernen aussehen?

Wenn wir multisensorisch Lernen, erhöht sich also die Wahrscheinlichkeit, sich daran wieder zu erinnern. Das heißt nun aber nicht, dass wir immer alle Sinne einsetzen sollen oder müssen. Es geht um eine gute Kombination, die auch immer wieder neu gefunden werden darf. Hier mal ein paar Beispiele: 

  • Buchstaben erfühlen oder Buchstaben beschreiben lassen
  • Geometrische Formen im Alltag finden oder in der Gruppe mit den eigenen Körpern formen
  • Vokabeln lernen:  durch aufsagen und gleichzeitig die Dinge berühren, wenn sie ‘greifbar’ sein sollten. Das lässt sich noch weiter kombinieren mit Bildern. 
  • Physikalische Gesetze (in der Natur ansehen und) ausprobieren: Oberflächenspannung, Trägheitsgesetz, Diffusion, Brechung usw.
  • Informationen in Liedtexte verwandeln ggf. mit Gesten
  • Schatzsuchen, die verschiedene Fachgebiete einbeziehen
  • Besuch von Museen mit “Anfass-Erlaubnis”
  • Merktechniken aus dem Gedächtnistraining

Das Lernen mit allen Sinnen hat neben dem besseren Merkeffekt noch den Vorteil, dass es nie langweilig wird. Außerdem kann jeder Lernende einbezogen werden – keine Ausrede mehr: “Es entspricht nicht meinem Lerntyp.”

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